Format: Text
Land: Armenien
Thema: Politik
Sprache: Deutsch

Autor: Simon Jacob

Ort: Jerewan, Armenien

Kategorie: Artikel

Rubrik: Politik  

Datum: 27.11.2015

Portal: www.simonjacob.info 

Textdauer: ca. 8 Min.

Sprache: Deutsch

Titel: „Talking points on the Armenian Genocide“

 

„Talking points on the Armenian Genocide“

 

Einen meiner letzten Tage in Jerewan nutzte ich dazu, um mit Professor Anahit Khosroeva noch einmal das Gespräch zu suchen. Professor Anahit lehrt an der North Park University in Chicago und gilt im Bereich der Genozid-Forschung als Expertin. Ausgehend von den historischen Ereignissen ist es augenscheinlich, dass der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, die türkische Republik, ihre Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung der Geschehnisse von vor 100 Jahren hat. Die emotionalen Gegebenheiten außer Acht lassend und sich auf die Fakten konzentrierend, sind zwei wesentliche Faktoren zu nennen, die zu einer doch immensen Weigerung führen, den Genozid als das anzuerkennen, was er ist. Nämliche eine “geplante“ ethnische Säuberung, angeordnet und durchgeführt durch die politische Elite eines staatlichen Gefüges.

 

Faktoren:

1. Es ist davon auszugehen, dass der Genozid an der Armeniern, den Suryoye (Assyrer, Aramäer, Chaldäer), Pontos-Griechen usw. auf dem Heimatboden dieser indigenen Völker stattgefunden hat.

2. Dies führt dazu, dass im Falle einer Anerkennung ein massiver Rechtsanspruch gegenüber der heutigen Türkei entstehen würde, welcher immense Reputationszahlungen zur Folge hätte.

 

Der zweite Punkt könnte, sofern der Rechtsanspruch Gültigkeit erlangt, zu einem wirtschaftlichen Fiasko für den osmanischen Nachfolgestaat werden.

 

Aller Wahrscheinlichkeit nach, aus der rein sachlichen Perspektive betrachtet, wäre die Anerkennung des Genozids viel einfacher anzugehen, wenn der genannte Rechtsanspruch nicht mehr im Raum stehen würde. Zukünftig wird sich zeigen, wie mit dem Thema verfahren wird.

 

Zunächst einmal ist es wichtig zu definieren, was überhaupt als Genozid bezeichnet werden kann. Die internationale Genozid-Forschung beschreibt einen 10 – Punkte Plan, welcher nach der Erfüllung der einzelnen Kriterien zu einem Ergebnis führt, das einen Genozid als solchen definiert.

 

1.Klassifizierung 2.Symbolisierung 3.Diskriminierung 4.Entmenschlichung 5.Organisation 6.Polarisierung 7.Vorbereitung 8.Verfolgung 9.Vernichtung 10.Leugnung

 

Anhand der genannten einzelnen Stufen, in „Absicht“ vorbereitet und ausgeführt durch einen Staat oder eine Organisation, kann man von einem Genozid sprechen. Jahrzehnte später war es Nazideutschland, welches eine ähnliche Planung verfolgte, um den Holocaust an den Juden zu verüben. Der Völkermord in den 90ern in Ruanda fällt ebenfalls in die Kategorie Genozid. Aller Wahrscheinlichkeit nach auch das aktuelle Morden des Islamischen Staates an den Jeziden, wenn man sich alle Faktoren näher betrachtet. Hierbei ist zu erwähnen, dass der Islamische Staat, genauso wie das damalige Osmanische Reich unter der Leitung der Jungtürken und auch die führenden Köpfe Nazideutschlands, besonders Punkt vier - die Entmenschlichung des Menschen - einen besonderen Stellenwert zukommen lässt. Die Erklärung ist recht plausibel und grausam zugleich. Überzeugt man die Täter davon, dass der angebliche „Feind“ kein Mensch ist oder es nicht wert ist als solcher bezeichnet zu werden, ist es wesentlich einfacher für die Täter, diesem das Leben zu nehmen. Der Islamische Staat z.B. bezeichnet Jeziden, Christen und Muslime, die nicht in ihr Weltbild passen, als Ungläubige und legitimiert damit ihre Vernichtung. Auch die Bewegung der Jungtürken, obwohl keineswegs religiös motiviert, nutzte religiöse Aspekte des Islams um allgemein Christen als Menschen zweiter Klasse zu definieren. Damit war das Töten legitimiert. Ähnlich verhielt es sich in Nazideutschland: alles was nicht dem arischen Rasseideal entsprach, galt als minderwertig. Und Minderwertiges musste eliminiert werden, weil, so die Sichtweise der Ausführenden, ansonsten die "reine" Gesellschaft Schaden nimmt.

 

Nun werden viele Stimmen sagen, dass es auch in anderen Regionen dieser Welt immer wieder zu grausamen Massenhinrichtungen kommt. Und das entspricht leider der Wahrheit. Es erhitzt immer die Gemüter und eine Tat wird mit der anderen verglichen. Tote Muslime werden gegen tote Christen aufgezählt. Kommunisten gegen Nationalisten. Linke gegen Rechte … usw.

 

Der wesentliche Unterschied besteht allerdings darin, dass ein Genozid, darauf abzielend ein ganzes Volk zu vernichten, einer Tat entsprechen muss, die vorbereitet und mit „Absicht“ von einem Staat oder einer Organisation durchgeführt wird.

 

Dass der Völkermord an den Armeniern in der türkischen Republik eigentlich als Tatsache galt, belegt die Verurteilung dessen in den Jahren zwischen 1919 und 1920 durch ein türkisches Gericht in 63 Sitzungen. Mehrere Angeklagte die sich ins Ausland abgesetzt hatten, wurden für schuldig befunden. Nur einer wurde gehängt, da sich dieser in der Türkei befand.

 

Die junge türkische Republik ging das Thema auch nicht ganz uneigennützig an. Aus Sorge, die Siegermächte des ersten Weltkrieges könnten das Thema international aufarbeiten, wurde im Vorfeld versucht, die Schuldigen ausfindig zu machen. Die später folgenden Kriege um territoriale Ansprüche setzten dem Bestreben die Ereignisse aufzuarbeiten ein Ende. Leider wurden im späteren Verlauf, gerade in der Türkei, den Genozid betreffende Dokumente fast vollständig vernichtet. Was die Beweislage aus türkischen Archiven heraus natürlich überaus erschwert. Tatsächlich wurde mehrfach medienwirksam das Angebot ausgesprochen, Einblick in die türkischen Archive zu erhalten - zuletzt 2005 durch die türkische Regierung (zum ersten Mal durch den Premierminister). Aus diesem Sachverhalt heraus würde es jedoch nicht viel bringen. Entgegen der allgemein verbreiteten Meinung hat der damalige Präsident der Armenischen Republik, Robert Kocharyan, tatsächlich darauf geantwortet. Er hat nur nie eine Antwort erhalten. Ausgehend davon, dass das Schreiben auch zunächst an den US – Kongress ging, welcher sich mit dem Thema beschäftigte und darüber entscheiden sollte, ob der Genozid als solcher Anerkennung findet, war dieser strategische Schritt ohnehin nicht an das armenische Volk gerichtet. Die Strategie der Streuung von Zweifeln ist nicht neu.

 

Bereits 1975 etablierte die Türkei extra für mediale Zwecke eine Organisation, die neben touristischen und politischen PR – Tätigkeiten, einzig und allein das Ziel erfüllen sollte, die historischen Ereignisse als einen eher neutralen und bedauernswerten, aber notwendigen Akt, zu deklarieren. Hierbei hat man keine Kosten gescheut, besonders in den USA, Wissenschaftler mit der Aufarbeitung des Themas zu beschäftigen, die im Sinne des Auftraggebers handelten und immer noch handeln. Zu nennen wären hier die PR Unternehmen Edelmann International Inc., Doremus, Gray & Co und Hill & Knowlton. Ebenfalls waren renommierte Historiker damit beschäftigt, die Entwicklungen aus der Sichtweise der Türkei näher zu betrachten. Es macht nun keinen Sinn auf alle wissenschaftlichen Studien einzugehen, da ansonsten eine Aufzählung der einzelnen Protagonisten auf jeder Seite entstehen würde. Derjenige der sich gewissenhaft mit der gesamten Materie beschäftigt, geopolitische Interessen der USA und Europas außer Acht gelassen, wird feststellen, dass die wissenschaftlichen Belange die für einen Genozid sprechen, erdrückend sind. Hinzu kommen Archive außerhalb des türkischen Raumes im Vatikan (Kopien liegen mir persönlich vor), in den USA, Deutschland, Österreich, Russland, Frankreich und Großbritannien, welche den verübten Völkermord mehr als deutlich dokumentieren.

 

Bezogen auf die Gegenwart ist meines Erachtens nach noch einmal essentiell darauf einzugehen, dass Verantwortung von denen ausgeht, die handelten wie sie gehandelt haben. Die jetzige Generation kann und darf wegen den Ereignissen der Vergangenheit nicht verurteilt werden. Denn dies wäre ebenfalls unmenschlich und hätte zur Folge, dass ein Versöhnungsprozess, welcher gerade für die Türkei positive Effekte hätte und als Beispiel für andere Länder angesehen werden kann, nicht stattfindet. Die Verantwortung zur Aufarbeitung, so wie es einst nach dem dritten Reich in Deutschland geschehen ist, ist allerdings definitiv gegeben.

 

Die wesentliche Frage die sich hierbei stellt betrifft eventuelle Reputationszahlungen, deren rechtliche Gültigkeit im Vorfeld geklärt werden müsste.

 

Weiterhin ist entscheidend, unter den Gesichtspunkten der aktuellen Lage im Nahen Osten und der Position Ankaras als stabiler Faktor, welcher wirtschaftlich, geopolitisch und militärisch von Bedeutung ist, ob man die Türkei und die türkische Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellen möchte.

 

Eine stabile Türkei ist unabdingbar für die Sicherheit Europas. Der Umgang mit den Ereignissen zwischen 1915 und 1918 gleicht daher einem gordischen Knoten. Vielleicht wird es nun tatsächlich Zeit, unter Leitung einer internationalen Kommission, die verfügbaren Daten auszuwerten um einen Schlussstrich unter das Thema zu ziehen.

 

Mit dem Ziel, allen Völkern der Türkei eine Möglichkeit zu eröffnen, versöhnlich mit der eignen Vergangenheit umzugehen. Nicht nur im Interesse Europas, sondern der ganzen Welt.

 

Wer sich für das Thema in einer kurzen und kompakten Form interessiert, dem sei die folgende Literatur empfohlen:

„Talking Point on the Armenien Genocide“ von Artak Shakaryan, editiert von Professor Anahit.

 

Simon Jacob

 

 

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