Mein Bild über den heiligen Nikolaus, im Aramäischen „Mor Zoche“ genannt, war ziemliche lange durch die Werbung eines Brauseherstellers geprägt. So zuckersüß wie dessen Produkte sind, sollte uns auch ein Bild des Heiligen aus Myra, dem heutigen Demre in der Türkei, vermittelt werden, welches so gut wie nichts mit dem wahren Nikolaus zu tun hat.
Nikolaus wirkte im 4. Jahrhundert als Bischof in Myra, Region Lykien. Damals noch Teil des römischen, später des byzantinischen Reiches. Ihm wurden viele Wunder nachgesagt. Im Besonderen faszinierte mich die Geschichte, in der es um einen verarmten Familienvater ging, der seine drei Töchter in die Prostitution schicken wollte. Er konnte sie aufgrund der fehlenden Mitgift nicht verheiraten. Nikolaus, Erbe eines größeren Vermögens und noch nicht zum Bischof geweiht, entschied sich heimlich auszuhelfen und rettete dadurch die drei Töchter vor einem Schicksal, in das heute, gerade aufgrund des Elends und der Flüchtlingsströme dieser Welt, besonders viele Frauen und auch Kinder getrieben werden. Auf meiner Reise habe ich z.B. erfahren, dass junge Frauen beim Versuch nach Europa zu gelangen, verschleppt werden und für ca. 1000 US $ die Besitzer wechseln, die sie dann zur Prostitution zwingen.
Ich versuche den Gedanken und die Erfahrungen der letzten Jahre, besonders im Zusammenhang mit Entführungen von kleinen Mädchen im Irak durch sunnitische Extremisten, wieder abzuschütteln. Konzentriert auf die spirituelle Atmosphäre dieses wundervollen Ortes, der einst eine Kirche war und jetzt ein Museum ist, betrachte ich das alte Gemäuer und die wunderbaren Fresken. Das Licht strahlt nur karg in den Innenraum. Und doch breitet sich an diesem sakralen Ort eine Art strahlende Stille aus. Im großen Innenschiff angekommen war ich überrascht, als ich plötzlich einen jungen Mann erblickte, der auf dem Boden kniete und ganz in sich vertieft, er bemerkte noch nicht einmal meine Anwesenheit, in tiefer Demut betete. Wieder ertappte ich mich dabei, wie meine Gedanken zu dem Mann mit dem roten Anzug und dem weißen Bart schweiften.
Was haben wir in unserer von Kommerz erfüllten Welt nur aus diesem Heiligen gemacht!
Das Bild dessen, was wir heute vom Bischof dieser altehrwürdigen Stadt haben, ist das Gegenteil von dem, was der auf dem uralten Boden dieser ehemaligen Kirche kniende junge Mann sich vorzustellen vermag.
Nämlich Demut vor denen, die Wunder gewirkt haben um, im menschlichen Dasein jenen zu helfen, die nichts haben. Sicherlich jedoch nicht um die zu überhäufen, die in einer konsumorientierten Welt bereits mehr als genug haben und nicht mehr benötigen.
Als ich das Museum verlasse, begegne ich einem kleinen Mädchen. Neben einer Nikolausstatue stehend lächelt sie mich an. Ich frage, mit der Zustimmung der Mutter, ob ich ein Foto von ihr machen darf. Noch von der Spiritualität dieses wunderbaren Ortes tief berührt, schenkt sie mir ein Lächeln, welches mehr wert ist als jeder materielle Gegenstand, welchen ich jemals in meiner konsumorientierten Welt erhalten habe.
Ein Stück Frieden breitet sich in mir aus.