Liebes Amerika,
um jenen einen besseren Eindruck zu vermitteln, die dich (USA) nur vom Hörensagen, aus den Medien, Hollywood, „Onkel Toms Hütte“, „Vom Winde verweht“, den Pressemeldungen aus dem Weißen Haus… kennen, habe ich versucht eine bewusst selektiv getroffene Auswahl aus tausenden von Bildern, entstanden während meines sechswöchigen „Roadtrips“, wie ich meine Teilnahme am „IVLP – International Visitor Leadership Programm“ nenne, in ein Fotovideo zu packen.
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Mehr InformationenMein primäres Ziel war und ist durch den Gedanken geleitet, so wie ich es auch bei meinen Besuchen in anderen Ländern immer wieder gemacht habe, alle Eindrücke möglichst objektiv auf mich einwirken zu lassen. In einer Art und Weise, die völlig vorurteilsfrei sein muss, konzentriert auf die punktuellen Erlebnisse, die ich erfahren durfte und ausgerichtet auf das Bestreben, möglichst rational zu berichten. Ich gebe offen und ehrlich zu, dass dies nicht immer einfach ist. Gerade nicht in den USA, in denen Rationalismus und Subjektivität so nahe beieinander liegen wie in keinem anderen Land, welches ich jemals besucht habe. Durch die Freiheit sich Gehör verschaffen zu können, legitimiert durch die wichtige demokratische Säule der Presse- und Meinungsfreiheit, kollidierten Welten miteinander, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tiefe Gräben zwischen den gesellschaftlichen Schichten vermuten ließen. Gerade im Zusammenhang mit dem, teilweise, chaotischen Umgang mit der aufkommenden Corona – Pandemie, musste ich mir immer wieder ins Bewusstsein holen, dass ich mich in einem Land befinde, welches die mit Abstand größte Militärmacht der Welt, inklusive eines ansehnlichen Nuklearwaffenarsenals, darstellt. Dank der permanenten und emotional aufgeladenen Berichterstattung der einzigen zwei TV – Sender, die ich mir überhaupt ansah, überkam mich, den Debatten zwischen den Politikern folgend, manchmal ein Gefühl der Angst. CNN wie auch FOX News, beide Rivalen und jeweils einem politischen Lager zuzuordnen, zeigten mir eine politische Kaste, die mehr mit sich selbst als mit der Verantwortung gegenüber dem Rest der Welt beschäftigt war, wenn man militärische Größe als Verantwortung definieren kann. Natürlich ist mir dabei bewusst, dass europäische Medien oftmals auch ein verzerrtes Bild der Situation widerspiegeln. Eine Tatsache, die einem bei einem Aufenthalt in den USA auffällt ist, dass der aktuelle Amtsinhaber im Weißen Haus in Deutschland fast ausschließlich nach seinen negativen Eskapaden, die zuhauf Realität sind, oftmals mir unpassenden Schnappschüssen untermalt, bewertet wird, es aber nicht notiert wird, wenn dieser auch einmal im positiven Sinne agiert, wie zum Beispiel als es um den Schutz geistigen Eigentums gegenüber China ging. Im umgekehrten Sinne ist ebenfalls zu beobachten, dass die Präsidentschaft Obamas im eigenen Land oft mit wirren und nicht faktenorientierten Zahlen verglichen wird, die bei näherer Überprüfung absolut widerlegt werden können. Ein Blick auf die Statistiken der Sicherheitsbehörden, die online zur Verfügung stehen, reicht aus, um sich selber davon zu überzeugen, dass während der achtjährigen Amtszeit Obamas beispielsweise kriminelle Morddelikte keineswegs zugenommen haben. Und damit gelangt man auch schon an den Punkt, welcher scheinbar das Primat aller Debatten, Grabenkämpfe, Erniedrigungen ist: die Verbreitung von Fakenews usw.
Mit Obama schlug das Pendel in eine Richtung aus. Betrachtet man die wachsende Ungleichheit zwischen den Gesellschaftsschichten, verbunden mit viel Wucht und Aggression, schwinget das Pendel mit Trump in die rechte Richtung, die, meines Erachtens nach, rationale Maßstäbe überschreitet und zu einem Medienkrieg führt, welcher nur noch mit Emotionen und falschen Tatsachen spielt und damit die Nation spaltet. Dies kann, bezogen auf die Bedeutung der USA als Militärmacht, die westliche Welt ebenfalls ins Chaos stürzen. Als eines von vielen Beispielen möchte ich das Gespräch mit einem Freund hervorheben, in dem dieser der festen Überzeugung war, dass Bush Junior 2003 berechtigter Weise den Befehl zum illegalen Einmarsch in der Irak gegeben habe, um Al Qaida zu bestrafen. Ich versuchte meinem Gegenüber zu erklären, dass die Okkupation 2003 erst zum Erstarken der Terrorgruppe geführt hat, die vorher im Irak kaum operierte, und er schlussendlich der Initiator für die Entstehung des Islamischen Staates war oder zumindest dessen Entstehung positiv beeinflusst hat. Auch auf die Tatsache hingewiesen, dass der damalige Vizepräsident Dick Cheney von 1995 – 2000 als Vorstandesvorsitzender eines international agierenden Konzerns für Dienstleistungen im Ölfördergeschäft (Halliburton) fungierte und im Zusammenhang mit dem illegalen US – Einmarsch in den Irak an lukrative Aufträge kam, wurde dieser Punkt einfach ignoriert.
Nun, ab einem bestimmten Zeitpunkt verstand ich, dass es in den USA des Hier und Jetzt nicht mehr um sachliche Argumente ging. Vielmehr kristallisierte sich heraus, so jedenfalls bei den meisten Debatten, dass es um „Die“ oder „Wir“ ging. Die USA haben sich in eine bipolare Auseinandersetzung manövriert, in der, begründet oder unbegründet, sich die Wut nur noch gegen das System richtet: gegen die ungleiche Verteilung des Reichtums vielleicht, eventuell gegen die marode Infrastruktur, oder den geringen Verdienst, den ein Fabrikarbeiter heute bekommt. Manche sehen die Deindustrialisierung und damit den Verlust zahlreicher Jobs für Geringqualifizierte als Hauptargument für Frustration, wieder andere haben einfach Angst vor zunehmender Gewalt oder der Drogenschwemme, welche ganze Stadteile manch einer Großstadt, samt Bandenkriege, im Würgegriff gewalttätiger Auseinandersetzungen hat.
Gemäß meines Naturells versuchte ich in all diese Ebenen einzutauchen, um zu verstehen, in welche Richtung sich die USA, die Vergangenheit als Maßstab betrachtend, entwickelt hatten. Und so führte ich meine Gespräche mit Rick dem Republikaner und Abby der Demokratin. Traf Muslime, Christen, Buddhisten, Juden, Atheisten und Agnostiker, mit denen ich zahlreiche Gespräche führte. Ich ließ mir von Gregory, dem Sozialarbeiter mit mexikanischen Wurzeln, in LA die Probleme des Viertels erklären. Eine Obdachloser, dem ich ein paar Dollar gab, wollte mir Crystal Meth verkaufen. Ich übernachtete in einem Motel, welches online mit der maximalen Anzahl an Sternen bewertet wurde und sich als Stundenhotel für illegale Prostitution erwies. Ich suchte nach den Spuren chinesischer Einwanderer in Kalifornien, die mit harter Arbeit die Eisenbahn aufgebaut hatten, ich unterhielt mich mit Valentine, der auf der Straße musiziert, traf Citlali, deren Name einen aztekischen Ursprung hat und die sich darauf freute, endlich eingebürgert zu werden. Die Super-Mum nahm mich für einen Tag auf, ein Farbiger unterhielt sich mit mir über seinen Einsatz in Afghanistan. Mein Weg führte mich in die Wüste Arizonas, wo ich den Spuren eines mystischen Indianerstammes folgte. In Utah verstand ich endlich, was es mit den Mormonen auf sich hat. Namhafte Politiker wie Martin Luther King oder Lincoln kreuzten gedanklich meinen Weg, die Gedenkstätten für die Helden der zahlreichen US – Kriege brachten mich zum Nachdenken. Bei einer „Whalewatching – Tour“ auf hoher See musste ich mich durchgehend übergeben, während eine ältere US-Bürgerin die gesamte Zeit meine Hand hielt, um mich zu beruhigen. Ich erinnerte mich an den Big Deal Roosevelts, der die USA aus der großen Depression holte und das Opfer amerikanischer Soldaten in den beiden großen Weltkriegen, deren Gräber in Frankreich zahlreich vorhanden sind. Ich sah den ersten Besuch eines Menschen auf dem Mond vor mir, welcher die gesamte Menschheit und unzählige aufkommende Kinder motivierte Ingenieur zu werden, und blickte zurück auf den desaströsen Vietnamkrieg, welcher mit einer Lüge begann. Die Größe des Marshallplans, welcher nach dem zweiten Weltkrieg Europa besonders Wohlstand schenkte, übrigens Teil des Geschichtsunterrichts in Deutschland, kam mir wieder in den Sinn. Gepaart mit dem Unverständnis für den illegalen Einmarsch in den Irak 2003.
Kurz gesagt fand ich mich am Ende meiner Reise über acht Bundestaaten in einer Situation wieder, die mich dazu veranlasste an etwas glauben zu wollen, was ich nun schmerzlich vermisste. Den Glauben an ein Amerika der Verantwortung, ein Amerika des Bilateralismus, ein Amerika der Vielfalt, der Farben, der Meinungen, der Chancen für alle. Ich sehnte mich nach einem Amerika, auf das man sich verlassen kann. Gerade als Europäer. Ich stellte mir ein Amerika vor, welches nicht auf Isolationismus und Konfrontation aus ist, sondern, im Gegenteil, seine Stärke dazu nutzt, um Frieden und Stabilität in die Welt zu bringen. Mit all diesen Wünschen ist das Wissen verbunden, dass auch wir als Europäer nicht immer fair mit den USA umgegangen sind. Greifen die USA ein, gefällt uns das nicht. Greifen sie nicht ein, gefällt es uns ebenfalls nicht. Sind sie zu dominant, gerade bei der technologischen Entwicklung, beschweren wird uns. Bieten sie keine kreativen und vielfältigen Märkte an, sind wir am Nörgeln.
Nun, ich denke, gerade in Anbetracht der Geschichte der USA, dass sich diese, das Land und seine Bürger, auf die großen Denker der eigenen Geschichte rückbesinnen können und sollten. Egal ob es sich hier um Frauen oder Männer, Farbige oder Weiße, Gläubige oder Atheisten handelt: sie sind zahlreich vorhanden.
Es reicht sich vorzustellen, was Abraham Lincoln und Martin Luther King heute zu all den Menschen sagen würden, wenn sie denn gemeinsam auftreten könnten…
Eines weiß ich gewiss… sie würden die Einigkeit, Vielfalt und Kreativität der eigenen Nation heraufbeschwören, um der Welt zu demonstrieren, dass Macht nicht automatisch bedeutet Konflikte zu schüren, sondern, im Bewusstsein um die Verantwortung, die Macht mit sich bringt, Stabilität und Frieden auf der ganzen Welt zu verbreiten…
Schlussendlich fand ich meinen eigenen Frieden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach vierzehn Monaten konnte ich endlich wieder meine Verlobte in Chicago treffen. Corona beendete vorzeitig unsere Heiratspläne… aber… hey… bisher hat die Menschheit jede Herausforderung gemeistert… wir werden auch diese Krise überwinden…