Professor Bassam Tibi – Erfinder der Leitkultur

Harvard, Yale, St. Gallen, Islamische Universität Jakarta und Scripps College in Kalifornien sind nur einige wenige Universitäten, an denen Professor Bassam Tibi Studenten etwas beibrachte, das heute von immenser Relevanz ist.

Der gebürtige Syrer und Geisteswissenschaftler ist Sunnit und stammt aus einer traditionsreichen Damaszener Gelehrten-Familie (Banu al-Tibi). Als Kind lernte er den Koran auswendig und ich bin stolz darauf behaupten zu können, dass es seine Werke waren, die mir vor Jahren auf der theoretischen Ebene dabei halfen, die Komplexität der patriarchalischen Struktur der nahöstlichen Gesellschaft zu verstehen. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht der einzige junge Mensch bin, der sich nach Antworten suchend seinen Schriften widmete.

Das Gründungsmitglied der Arabischen Organisation für Menschenrechte hinterließ in Deutschland Spuren, die bedeutender nicht sein könnten.

Die Begriffe „Leitkultur“ und „Parallelgesellschaft“ gehen auf ihn zurück.

Die Auswirkungen dieser beiden Begrifflichkeiten sind heute dermaßen groß, dass im Zusammenhang mit diesen extra ein Integrationsgesetz entwickelt wird, welches bedeutend für die deutsche Gesellschaft ist und eigentlich genau das regelt, was Professor Bassam Tibi bereits vor Jahren gefordert hat.

Und weil er dies tat, musste er als Folge harsche Kritik seitens der Medien und Politik in Kauf nehmen. Die Assoziation mit rechtspopulistischen Themen stand einfach zu sehr im Vordergrund. 

Heute, im Jahre 2016, finden wir ein Deutschland vor, welches den Begriff der „Leitkultur“ in einen Gesetzeskanon eingebettet hat, der eben diese „Leitkultur“ in Form von verschiedensten Maßnahmen den Neuankömmlingen in Deutschland vermitteln soll.

Um „Parallelgesellschaften“ zu verhindern, die das Potential haben, den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden.

Ob Professor Tibi, der die Wissenschaft der „Islamologie“ entwickelt hat, eine verspätete Anerkennung erfahren durfte, vermochte ich bei seinem hochinteressanten Vortrag über Antisemitismus nicht zu ergründen.

Doch bin mich mir in einem Punkt sicher.

Professor Bassam Tibi hat in seinen Werken, die bereits vor Jahren erscheinen sind, prophetisch auf Probleme hingewiesen, die heute ein globales Ausmaß angenommen haben.

Bei der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) referierte der 70 jährige Nahostexperte, Träger des Bundesverdienstkreuzes und Professor Emeritus für Internationale Beziehungen, über das Thema “ Nahostflüchtlinge und Judenhass“.

Kurz nachdem ich die Ehre hatte einen visuell untermalten Vortrag über mein Themenprojekt „Project Peacemaker“ zu halten.

Faktenorientiert ist der Vortrag von Professor Tipi in die Bereiche wie folgt zu unterteilen:

 

a) Judenhass ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Während Judenhass darauf basiert, die Abneigung gegenüber einer Religionsgemeinschaft zum Ausdruck zu bringen, zum Beispiel dadurch, dass man „Juden“ einfach nicht mag, verhält es sich mit dem Antisemitismus anders.

Antisemiten verfolgen dagegen das Ziel, jüdisches Leben in seiner Gänze auszulöschen. Mit der Intention, dies möglichst auch in die Tat umzusetzen.

Während der Eine aus seiner Abneigung keinen Hehl macht, ist der Andere (Antisemit) dazu bereit, drastischere Maßnahmen zu ergreifen.

 

b) Die Quellen

Antisemitismus ist kein muslimisches Phänomen. Geprägt wurde dieser verstärkt durch die Schriften eines libanesisch – christlichen Schriftstellers Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Erst mit dem Erwachen des Panarabismus, welcher nicht religiös geprägt war, und der Gründung einer eigenen arabischen Identität, eingebettet in ein eigenständiges Territorium, losgelöst vom Einfluss der Kolonialmächte, entwickelte sich der „Zionismus“ zum Feindbild in der arabischen Welt.

Mit der Entstehung der Muslimbruderschaft in Ägypten und dem Verbreiten und Konsumieren antizionistischer Schriften, auch als Antwort auf die Gründung Israels, wurde der „Antisemitismus“ mehr als salonfähig.

Die Rolle „Nazideutschlands“ in zweiten Weltkrieg verstärkte nur diesen Trend, welcher heute teilweise, auch gemäß meiner Erfahrungen, schon absurde Verschwörungstheorien an den Tag legt.

Auf Grund mancher Aussagen, auch gewichtiger Politiker, müsste der Zionismus bereits in der Lage sein, um es grotesk auszudrücken, zum Mars fliegen zu können.

Heute dient der Koran, so der Islamgelehrte, bezogen auf bestimmte Abschnitte, als Hauptquelle, um im Besonderen Islamisten eine religiöse Begründung zu geben.

 

c) Frauen und Gewalt

Ein weiteres Problem in der fehlenden Entwicklung und damit einhergehenden Radikalisierung sieht Professor Tibi in der Rolle der Frau, der Gewalt angetan wird. Dies noch gar nicht einmal aus niederen Beweggründen, was sicherlich viel zu oft vorkommt. Sondern mehr der Tatsache geschuldet, dass sie in der nahöstlichen Welt die Bewahrerin der „Ehre“ der Gesellschaft ist. Durch ihre  Erniedrigung, erfolgt durch beispielsweise Extremistengruppen im Nahen Osten oder auch durch junge Männer in der „Kölner Silvesternacht“ im letzten Jahr, symbolisiert der „Mann“ seine Deutungshoheit und Stärke gegenüber der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist es sehr empfehlenswert Herr Tibis letzten Artikel in der Welt zu lesen, welcher im Mai 2016 erschienen –

Titel: „Junge Männer, die die Kultur der Gewalt mitbringen“

 

d) Antisemitismus

Das letzte Thema ging auf den sich immens verbreitenden Antisemitismus in Europa ein, der zurückgekehrt ist. Der, und das war das Ausschlaggebende daran, nicht von der heimischen Bevölkerung ausging, sondern von Europäern, und hier ist im Besonderen Frankreich zu nennen, mit arabischem Hintergrund.

Gerade in Frankreich wurde der Hass auf Juden, nachdem dieser zunächst von dort exportiert wurde, wieder reimportiert.

Auch ist ein zunehmender Judenhass in den deutsch – türkischen Gemeinden festzustellen. Doch hat dieser bei weitem nicht die Ausmaße wie in arabischen Gesellschaften erreicht. Als Hauptexporteure dieses Gedankengutes nennt der Referent Saudi Arabien, Ägypten, die Türkei und den Iran.

Interessanterweise sind in den mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern Asiens, so zum Beispiel in Indonesien und Malaysia, Antisemitismus und Judenhass nur Randerscheinungen.

Nach den beiden Vorträgen des Tages von Professor Tibi und mir, standen wir dem recht jungen Publikum für Fragen zur Verfügung. Unsere Antworten ergaben eine fast perfekte Symbiose, da ich, der gerade aus den Nahen Osten kam, das ergänzen und bestätigen konnte, was der Experte bereits seit Jahrzenten in seinen Büchern niedergeschrieben hat.

Zu Recht kann man behaupten, dass Professor Bassam Tibi einer der wenigen Experten Deutschlands ist, der sich global mit den Entwicklungen der nahöstlichen Gesellschaften auskennt. Und dies auf all den wichtigen Ebenen, die auch die europäische Gesellschaft betreffen.

 

Ein Blick auf seine Webseite ist, neben seinen vielen Publikationen, nur zu empfehlen.

Prof. Dr. Bassam Tibi

www.bassamtibi.de

Georg-August-Universität Göttingen

Institut für Politikwissenschaft

Platz der Göttinger Sieben 3

37073 Göttingen

Germany

Tel.: +49 (0)551/39-7348

Fax: +49 (0)551/39-2343

Buchtipp:

Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.

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Simon Jacob

Simon Jacob (1978 in Tur Abdin, Türkei) kam als Kind nach Deutschland, wo er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte und später in verschiedenen Führungspositionen der IT- und Technologiebranche arbeitete. Seine berufliche Laufbahn umfasste u.a. Positionen im Projektmanagement und der Marktforschung mit Schwerpunkten in Automotive, Sensorik und Digitalisierung. Neben seiner Karriere engagierte sich Jacob ehrenamtlich als Integrationsbeauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche und war Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland. 2015 initiierte er die „Peacemaker-Tour“, ein journalistisches Projekt, bei dem er Krisenregionen im Nahen Osten bereiste, um den interkulturellen Dialog zu fördern und auf die Lage religiöser Minderheiten aufmerksam zu machen. Seine Erfahrungen und Einsichten, vor allem zu Demokratie und Menschenrechten, teilt er in Artikeln, Vorträgen und seinem bald erscheinenden Buch.
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