Ukraine & die Sicherheit Europas

„Warum die Ukraine uns alle betrifft – Ein persönlicher Blick auf Freiheit, Sicherheit und Solidarität“

Die Sehnsucht nach billiger Energie und russische Propaganda

Ein Gespräch mit einem Bekannten drehte sich kürzlich um die Ukraine und die allgemeine Frustration angesichts der eigenen finanziellen Situation. Viele Eltern müssen mittlerweile jeden Cent zweimal umdrehen, zahlen mehr für Energie, kämpfen mit steigenden Lebensmittelpreisen und bangen um ihren Arbeitsplatz. Ich kann diese Sorgen nachvollziehen, auch wenn ich nicht jede Angst teile. Deutschland hat nach wie vor einen unermesslichen Wohlstand, der darauf basiert, dass wir einen stabilen Rechtsraum haben, in den investiert werden kann und Besitz, ob nun privat oder unternehmerisch, rechtlich gesichert ist. Hinzu kommt eine Sicherheitsarchitektur, die rechtlich funktionierende Strukturen ermöglicht und damit zu Wohlstand sowie Frieden führt. Wird dieses Verhältnis bedroht, wie durch den Angriff Russlands auf die Ukraine, gerät das etablierte System in Gefahr – und damit auch unsere Art zu leben und unser Wohlstand.

Wie bereits eingangs erwähnt, kann ich dennoch die Sorgen und Ängste der Menschen verstehen. Als ehemaliger Unternehmer und Angestellter, der unverschuldet – etwa durch die Corona-Krise – sein Unternehmen verlor, Angestellte entlassen musste und einen ererbten Schuldenberg zu tragen hatte, stand ich zeitweise mit dem Rücken zur Wand. Die Sorge um meine Familie und all jene, die ich liebe und zu schützen versuche, war und ist groß.

Doch wie groß muss erst die Angst eines ukrainischen Vaters oder einer Mutter sein, die täglich von einem unbarmherzigen Aggressor angegriffen werden? Einem Aggressor, der uns seinen Krieg als humanitären Akt verkaufen will und dessen propagandistische Lügengeschichten einen Oscar verdient hätten – eine Erklärung, die leider auch in Deutschland Anklang findet, insbesondere wenn es um Gaspreise oder die Versorgung von Flüchtlingen geht. Ja, der Krieg verursacht Kosten. Die Energiepreise sind gestiegen, ebenso wie die Lebenshaltungskosten. Viele Familien stehen unter enormem Druck. Teil dieser Krise ist auch eine gezielte russische Propaganda, die die gesamte Ukraine als korrupt darstellt und ihrem Verteidigungskrieg die Legitimation abspricht, um die westliche Gesellschaft zu spalten und die Unterstützung für die Ukraine zu torpedieren.

Und ja, es gibt Korruption in der Ukraine. Und es stimmt, dass sich einige bereichert haben. Aber sollen wir den Ukrainern deshalb das Recht absprechen, sich zu verteidigen? Ihnen das Recht absprechen, in Freiheit, Würde und Unabhängigkeit leben zu dürfen? Was wäre aus Deutschland geworden, wenn während des Zweiten Weltkriegs mutige US-Amerikaner, Briten, Franzosen, Kanadier, Ukrainer und ja, auch Russen, sich dem Naziregime nicht in den Weg gestellt hätten? Wären die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland so frei wie heute? Würden sie sich des Wohlstands erfreuen, der ihnen heute so wichtig ist?

Oftmals sind es Momente wie diese, in denen die Opferbereitschaft einer Wertegemeinschaft gefragt ist, um Veränderungen herbeizuführen, von denen alle profitieren. Ich bin ein Mensch, der in zwei Welten groß geworden ist. Einerseits kenne ich die Situation, in der Menschen aufgrund ihrer Meinung verfolgt werden, während in der westlichen Welt Millionen ihre Meinung frei äußern können. Unter autoritären Regimen wie dem heutigen Russland wird die freie Meinungsäußerung hingegen hart bestraft und kann sogar mit dem Tod enden. Etwas, das viele Protestierende in Europa vergessen, während sie paradoxerweise genau in dem Moment, in dem sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, behaupten, es gäbe keine Meinungsfreiheit.

Aus meinen eigenen Erfahrungen weiß ich, dass man sich Aggressoren, die nur das Recht des Stärkeren kennen, entgegenstellen muss. Tut man das nicht, wird man ein Leben in ständiger Angst führen. In der früheren DDR gab es die STASI, die Geheimpolizei, die Menschen ohne Gerichtsurteil internierte oder hinrichtete. Mutige Menschen in der ehemaligen DDR begehrten gegen dieses System auf und brachten es zum Einsturz. Ein ähnliches System möchte Russland nun in der Ukraine etablieren – und, wenn man sich die hybride Kriegsführung ansieht, auch im Westen.

Ständige Angst und Kontrolle, wie sie autoritäre Regime praktizieren, führen zu Armut, Repressalien und dem Verlust der Freiheit. Mit einer Ausnahme: für jene, die sich dem Autokraten anbiedern und von dessen Nähe profitieren. Ein kleiner Teil der Gesellschaft wäre der Gewinner, während die Mehrheit in Angst leben müsste. Das ist das Recht des Stärkeren, das eine regelbasierte Gesellschaft verachtet und alles daransetzt, die eigene Macht in den Händen weniger zu konzentrieren. Dieser Mechanismus kann nur durchbrochen werden, wenn man sich mutig entgegenstellt – bevor es zu spät ist.

Ich erinnere mich an das Jahr 2012, an eine Situation in Brüssel, wo ich massiv bedroht wurde, weil ich mit Anzug und Laptoptasche im falschen Viertel ausstieg. Fremde Menschen griffen beherzt ein und riskierten ihre eigene Sicherheit – nicht nur um mich zu schützen, sondern um klarzumachen, dass in einer freien und demokratischen Welt nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern Solidarität und gemeinsamer Widerstand gegen Aggressoren.

Diese Erkenntnis ist essenziell: Die Ukraine kämpft nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Werte, die unser Zusammenleben in Europa ausmachen.

Freiheit beginnt vor der eigenen Haustür

Freiheit ist kein Zustand, den man ein für alle Mal erreicht – sie ist ein ständiger Prozess, der gepflegt und verteidigt werden muss.

Wer glaubt, es reiche aus, in einem demokratischen Staat zu leben, irrt gewaltig. Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie verlangt Beteiligung, Aufmerksamkeit und das aktive Einstehen für gemeinsame Werte – gerade dann, wenn es unbequem wird.

In Krisenzeiten zeigt sich, wie belastbar unser demokratisches Fundament wirklich ist. Wenn Demonstrationen von Menschen vereinnahmt werden, die gezielt Desinformation verbreiten oder offen mit autoritären Systemen sympathisieren, gerät unsere freiheitliche Grundordnung in Gefahr. Wir dürfen nicht vergessen: Freiheit endet dort, wo sie zur Deckung für Unterdrückung und Hetze missbraucht wird.

Genau das lässt sich derzeit im Rahmen eines hybriden Krieges gegen die westliche Gesellschaft beobachten. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit – insbesondere im Hinblick auf KI-generierte Inhalte in sozialen Medien – ist von zentraler Bedeutung. Eine umfassende Aufklärung sowie der bewusste und reflektierte Umgang mit Medien müssen in einer hochdigitalisierten Gesellschaft bereits in Schulen und Ausbildungseinrichtungen verpflichtend gelehrt werden. Daran führt kein Weg vorbei, wenn wir verhindern wollen, dass der Geist ganzer Generationen durch TikTok und Co. vergiftet wird.

Die öffentlich-rechtlichen und etablierten Medien tragen hier eine besondere Verantwortung. Leider hat ihre Glaubwürdigkeit in den letzten Jahren stark gelitten – was viele Menschen in die Arme sogenannter „alternativer Medien“ getrieben und letztlich auch das Vertrauen in die demokratische Grundordnung erschüttert hat. Eine professionelle Selbstreflexion innerhalb der Medienlandschaft – insbesondere im Hinblick auf Themen wie Migration oder die Corona-Pandemie – sowie die ehrliche Aufarbeitung kommunikativer Fehler würden helfen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Doch dafür braucht es zuerst die Einsicht, dass ein solcher Schritt notwendig ist. Der anhaltende hybride Informationskrieg Russlands und anderer Akteure gegen die westliche Welt macht deutlich, wie dringend wir diese Versäumnisse aufarbeiten und transparent korrigieren müssen – in den Medien genauso wie in der Politik.

Die Macht der Desinformation

Ein zentrales Instrument moderner Kriegsführung ist längst nicht mehr nur das Militär – es ist die gezielte Verbreitung von Desinformationen.

Russland hat über Jahre hinweg ein hochprofessionelles Netzwerk aufgebaut, das über soziale Medien, staatlich gesteuerte Nachrichtendienste und gut getarnte Trolle gezielt Misstrauen, Spaltung und Unruhe in westlichen Gesellschaften sät.

Das Ziel: die Unterstützung für die Ukraine schwächen, Demokratien von innen heraus zersetzen, Polarisierung verstärken. Besonders erschreckend ist, wie viele Menschen bereit sind, diese Narrative unreflektiert zu übernehmen – oft aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus, das sie anfällig für einfache Erklärungen macht. Doch einfache Antworten auf komplexe Fragen führen selten zur Wahrheit.

Hinzu kommt die gezielt geschürte Angst vor Konsequenzen – etwa im Zusammenhang mit militärischer Unterstützung. Die strategische Verbreitung von Furcht ist ein altes, aber äußerst wirksames Mittel: sei es in Kriegen, politischen Konflikten oder wirtschaftlichen Verhandlungen. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Sie lähmt, sie verunsichert – und sie kann eine Gesellschaft in einen Zustand gefährlicher Starre versetzen, der langfristig irreparablen Schaden anrichtet.

Die Furcht vor der Reaktion des Gegners wird zur mächtigen Waffe – und kann nur durch Aufklärung, Solidarität und ein tiefes Verständnis für den Wert der eigenen Freiheit und Lebensweise gebrochen werden. Deshalb sind gezielte Gegenmaßnahmen zur Aufdeckung und Entlarvung von Desinformationskampagnen dringender denn je. Nur so lässt sich die Resilienz unserer demokratischen Gesellschaften erhalten.

Über Verantwortung und Solidarität

Wir leben in einer Zeit, in der nationale Grenzen zunehmend weniger über unser Leben entscheiden als globale Entwicklungen. Pandemie, Klimawandel, Krieg, Energieversorgung – alles ist miteinander verflochten. Verantwortung endet daher nicht an der eigenen Haustür oder Staatsgrenze. Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern ein Zeichen von Stärke.

Wer heute fragt, „Was geht mich die Ukraine an?“, verkennt die historische Dimension dieses Konflikts. Es geht nicht nur um ein Land in Osteuropa – es geht um unsere Werteordnung, um das Völkerrecht, um den Schutz von Menschen vor Willkür und Gewalt. Die Unterstützung der Ukraine ist damit keine moralische Wohltätigkeit, sondern eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft.

Die Geschichte lehrt uns: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind Errungenschaften, die jederzeit in Gefahr geraten können. Der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, die Überwachung in der DDR – all das zeigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation manchmal sein kann. Umso wichtiger ist es, wachsam zu sein. Wer heute gegen den russischen Angriffskrieg schweigt oder Verständnis zeigt, sollte sich fragen, wie er in früheren Zeiten gehandelt hätte. Geschichte wiederholt sich nicht exakt, aber sie reimt sich – und unsere Reaktion auf das Unrecht heute ist der Prüfstein unserer Überzeugungen.

Der Preis der Freiheit & Sicherheit

Freiheit hat ihren Preis – und der ist nicht nur monetär. Er besteht aus Einsatz, Widerspruch, dem Mut zur Positionierung, der Bereitschaft, auch Opfer zu bringen. In einer Zeit, in der viele lieber schweigen oder sich in vermeintliche Neutralität flüchten, ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen.

Der Krieg in der Ukraine erinnert uns daran, wie zerbrechlich unsere freiheitliche Ordnung ist. Und wie kostbar. Wenn wir nicht bereit sind, für unsere Überzeugungen einzustehen, verlieren wir sie Stück für Stück – nicht immer durch Bomben, sondern durch Gleichgültigkeit.

Bild & Copyright: Simon Jacob, Straße in Butcha, Werbung für das Militär

Es geht um unsere Sicherheit und die Zukunft unserer Kinder

Ein persönlicher Blick auf Verantwortung und Solidarität

Meine Ex-Frau, mit der ich ein freundschaftliches Verhältnis pflege, hat ukrainisch-russische Wurzeln. Ihre Familie siedelte einst nach Deutschland über, wo sie ihre Ausbildung absolvierte, wir uns kennenlernten, heirateten und uns schließlich – wohl auch wegen meiner journalistischen Arbeit im Nahen Osten – wieder trennten.

Als ich 2014/15 meinen gut bezahlten Managerposten aufgab, um als Journalist in Syrien und im Irak über die Verbrechen des Islamischen Staates und autoritärer Regime wie das von Assad zu berichten, ging es mir darum, aufzuzeigen, wie politische Gegner, Oppositionelle und Minderheiten eingesperrt, gefoltert, vergewaltigt oder systematisch ausgelöscht wurden.

Als Russland 2022 die Ukraine angriff, sagte meine Ex-Frau zu mir: „Jetzt verstehe ich, wie du dich damals gefühlt hast.“ Erst als sie diese Angst selbst spürte – dass ein Aggressor ihre Kultur, Sprache und Identität vernichten wollte – verstand sie meinen damaligen Antrieb.

Wer mit eigenen Augen erlebt, wie Russland mit Drohnen und Raketen ukrainische Städte terrorisiert, versteht, warum sich die Ukraine verteidigen muss.

Die Ukraine verschafft Europa Zeit – Zeit, um die eigene Verteidigungsstruktur auszubauen. Selbst wenn man alle Ukrainer unsympathisch finden sollte (was hoffentlich nicht der Fall ist), muss jedem Europäer klar sein: Jeder ukrainische Soldat, der heute gegen Russland kämpft, tut dies auch, damit wir es später nicht tun müssen.

Fällt die Ukraine, wird der Preis, den Europa zahlen muss, danach ungleich höher sein. Ein Aggressor lässt sich nicht mit netten Worten abschrecken. Nur wer wehrhaft ist und den Preis eines Angriffs ins Unermessliche steigen lässt, kann Frieden und Stabilität sichern.

Bild & Copyright: Simon Jacob, Ehrung Gefallener aus Butcha,

Die Brutalität der russischen Kriegsführung

Von der Frontlinie bis zum seelischen Trauma

Wenn man sich über längere Zeit in Kriegsregionen befindet und massiven Konflikten ausgesetzt ist, verbunden mit grauenvollen Verbrechen, nimmt die Seele irgendwann Schaden. Das lässt sich nicht vermeiden. Ich möchte mich auch nicht beklagen, da es meine eigene Entscheidung war, einst meinen Managerposten gegen den Beruf des Kriegsberichterstatters und Frontlinienjournalisten einzutauschen. Dennoch kann ich es nicht verbergen (und möchte es auch nicht), dass ich nach meiner journalistischen Arbeit im Nahen Osten unter posttraumatischem Stress (PTS) litt – und immer noch leide. Ich hatte gelernt, die Erlebnisse von damals zu verdrängen. Doch dann kamen die Berichte aus Butcha – und die Bilder. Und mit den Bildern kamen die Erinnerungen, die ich, für einige Zeit wenigstens, tief in mir vergraben hatte, und nunmehr wieder keine Ruhe ließen. Besonders die willkürliche Ermordung unschuldiger Zivilisten, die Vergewaltigung von Frauen sowie die an der Zivilbevölkerung begangene Folter erschütterte mich. All dies erinnerte mich an die Kriegsverbrechen des Islamischen Staates und die brutale Unterdrückung des Assad-Regimes in Syrien.

Russische Truppen, darunter tschetschenische Einheiten unter dem Befehl der russischen Armee, hatten in Butcha ein Massaker an Zivilisten angerichtet, das an Grausamkeit den Verbrechen des Islamischen Staates und autoritärer Staaten in nichts nachsteht. Die Art und Weise, wie gefoltert, vergewaltigt und gemordet wurde, verschlägt einem den Atem. Es war schwer, dies zu akzeptieren und gleichzeitig sich anzuhören, auch in meiner näheren Umgebung, dass der Versuch unternommen wurde, die Ereignisse als Fakenews abzutun oder sie herunterzuspielen. Oder man behauptete einfach, dem russischen Narrativ folgend, dass die Ukraine an allem schuld sei, oder der Westen, oder dass die Ukraine der Aggressor sei. Eine typische Opfer-Täter-Umkehr, die von russischen, aber leider auch von Medien im Nahen Osten immer wieder gezielt verbreitet wird, um der Bevölkerung eine augenscheinliche „russische Legitimation“ für den Angriffskrieg zu geben, die in Wirklichkeit nicht existiert.

Ich möchte nicht wissen, welchen Aufschrei es in Deutschland gegeben hätte, wenn das, was in Butcha passiert ist, auch hier passiert wäre und Deutschland um äußere Unterstützung gebeten hätte. Wie hätten wir die Situation betrachtet, wenn man damit konfrontiert wird, dass all dies „gerechtfertigt ist“, weil doch Deutschland „angeblich“ voller Nazis ist und dies verdient hätte? Als ehemaliger Wehrdienstleistender, der seine Heimat mit Sicherheit nicht im Stich lassen wird, wäre ich auch über jede Unterstützung von befreundeten Staaten glücklich gewesen, da ich auch für sie und für ihre Art des Lebens, der Freiheit und des ungezwungenen Friedens kämpfen würde.

In Butcha

Ein Ort, der die Wahrheit offenbart

Ich wollte nach Butcha, um mit den Menschen zu sprechen. Ich wollte helfen – und helfen kann man, indem man die Wahrheit dokumentiert. Russland behauptet, die Ukraine von Nazis „befreien“ zu wollen. Doch Butcha offenbart die wahre Natur dieser sogenannten Spezialoperation: Es geht um brutale Unterwerfung und gezielten Terror. Wer Butcha besucht, versteht, dass dieser Krieg auch unsere Freiheit betrifft. Kein Mensch, der die Ideale und Werte einer freien Gesellschaft erlebt hat, wird sich freiwillig unterwerfen oder seine Freiheit widerstandslos aufgeben. Und ich bin mir auch sicher, dass die Menschen in Russland das wissen. Nur sieht die Mehrheit der russischen Bevölkerung dies scheinbar auch aus dem Blickwinkel einer Abwägung zwischen Unterwerfung und einem einigermaßen sicheren Leben, verbunden mit freiheitlichen Einschränkungen oder harten Strafen, sofern man aufbegehrt.

Vor dem Krieg hatte ich Freunde und Geschäftspartner in Russland, mit denen ich im regen Austausch stand. Kurz nach Ausbruch des Krieges baten sie mich, unsere gesamten Chats zu löschen, da sie befürchteten, obwohl sie noch nicht einmal politisch waren, für ihre persönlichen Meinungen verfolgt zu werden. Sie hatten schlichtweg Angst und zogen es vor, sich zurückzuziehen, um nicht mehr über das, was in der Ukraine passiert, nachdenken zu müssen. Viele meiner russischen Freunde äußerten gegenüber der Ukraine, besonders im Zusammenhang mit der russischsprachigen Bevölkerung im Osten, Kritik. Das ist absolut legitim und war auch Teil der damaligen Debatten. Dennoch schockierte die meisten der Einmarsch Russlands in die Ukraine und wurde als das wahrgenommen, was es ist: ein Akt der Aggression gegenüber der Souveränität eines Staates, der sich mit allen Mitteln wehrt. Die Stimmen meiner russischen Freunde von damals sind verstummt. Es gibt keinen Kontakt mehr.

Das Waisenheim

Unschuld im Schatten des Krieges

In einem Waisenheim, das wir besuchen und das ein Freund mit Hilfsgütern unterstützt, betrachte ich die Kinder – vom Säugling bis zum Kleinkind –, die liebevoll versorgt werden.

Einige von ihnen, so fällt mir auf, haben asiatische Züge. Man erklärt mir, dass es sich um Kinder handelt, die im Säuglingsalter vor die Tür des Heims gelegt wurden – geboren aus Vergewaltigungen durch russische Soldaten asiatischer Herkunft. Sie haben von Anfang an ein schweres Leben vor sich, gezeichnet von Umständen, für die sie nichts können.

Ich sehe in die Gesichter dieser Mädchen und Jungen. Ihre Augen erzählen von einer Welt, die ihnen tiefen Schmerz zugefügt hat – einer Welt, die sie nicht verstehen, die sie aber mit jeder Faser ihres kleinen Wesens spüren.

Man berichtet mir, dass während der Besatzung ein älterer Betreuer, der sich um die Kinder kümmerte, vor ihren Augen erschossen wurde – eine grausame Szene, eingebrannt in die Erinnerung der Jüngsten, die am wenigsten Schuld an diesem Krieg tragen.

Die Gespräche mit den Betreuern und das stille Beobachten der Kinder bringen die Erinnerungen an all das Grauen zurück, das ich im Irak und in Syrien erlebt habe. Als Berichterstatter hatte ich vieles gesehen – doch der Schmerz, der in diesen kleinen, unschuldigen Augen liegt, geht tiefer als vieles, was ich je gefühlt habe.

Nach diesen Tagen musste ich etwas sehen, das mir Hoffnung schenkt. Etwas, das mich aufrichtet und Licht in das Dunkel bringt.

Café „Джем“ Marmelade … Ein Ort des Friedens

Hoffnung und Widerstand im Alltag

In einem kleinen Café in Butcha sitze ich mit meinem Kooperationspartner, dem Produzenten und Mediengestalter Markus Thöß. Wir drehen eine Dokumentation für das deutsche Fernsehen.

Bild & Copyright: Simon Jacob, Butcha, Café „Джем“ Marmelade

Das Café ist ein Ort der Normalität inmitten des Traumas. Die Bevölkerung im Vorort Kiews hat die Schäden schnell beseitigen können, mancherorts ist noch zu erkennen, dass es einst massive Zerstörungen gegeben hat. Dennoch sprechen die Gegebenheiten für sich. Dieser Ort, der von außen so unscheinbar wirkt, versprüht eine völlig andere Atmosphäre als alles, was ich die Tage zuvor erlebt hatte. Während unserer Gespräche mit ukrainischen Drohneneinheiten durchflutete eine permanente Spannung die Gespräche, da alle Aktivitäten auf einer hohen Sicherheitsebene stattfanden. Während der Dreharbeiten erhielten wir, dank einer wirklich ausgeklügelten App, ständig Warnungen über Angriffe mit ballistischen Raketen oder Drohnen und die Aufforderung, Schutzräume aufzusuchen.

Doch war es im Besonderen das Waisenheim mit den vielen Kindern, das mich aus meiner objektiven Professionalität herausholte und Emotionen weckte, die ich lieber ignoriert hätte. So war ich mehr als glücklich darüber, am letzten Tag unserer Dreharbeiten einen Ort gefunden zu haben, an dem Freude, Zuversicht, Hoffnung und auch Liebe spürbar waren. Die Dekoration, mit vielen schönen, erfreulichen Details, sprach für sich. Meine Entscheidung, mich mit den Mitarbeitern des Teams zu unterhalten, entsprang meinem Naturell: In allen Lagen des Lebens suche ich den Austausch mit der betroffenen Bevölkerung, um auch über Positives berichten zu können.

Diesem Prinzip folgend, spreche ich mit den jungen Angestellten, die sich der Gefahr bewusst sind, aber nicht bereit sind, ihre Lebensweise aufzugeben. Cate, eine junge Bedienung, erzählt mir mit fester Stimme: „Wir werden nicht zulassen, dass uns Russland unsere Freiheit nimmt“. Und mit dieser Aussage unterstreicht sie den Willen der meisten Menschen, denen ich begegnet bin, für jene Freiheiten zu kämpfen, die dem Westen zu Sicherheit, Wohlstand und Frieden verholfen haben. Wer sich mit diesen Menschen unterhält, wird begreifen, weshalb man sich weigert, sich dem Diktat Russlands zu beugen. Denn würde man dies tun, hätte das zur Folge, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der daraus resultierenden Unabhängigkeit des Landes Cafés wie dieses – mit all ihren freiheitlichen Idealen, die beispielsweise auch in der politisch gespickten Dekoration zum Ausdruck kommen – keinen Platz mehr hätten. Kreativität, freie Meinungsäußerung und eine sich formende Rechtsstaatlichkeit würden durch Willkür, das Diktat des Stärkeren und Repressalien ersetzt werden. Eine Geheimpolizei, ähnlich wie es jetzt in Russland ist, würde penibel darauf achten, dass es keine freie Entfaltung des Geistes gäbe.

In Cates Blick sehe ich Stolz – auf ihr Land, auf ihre Soldaten, die nicht nur für die Ukraine kämpfen, sondern auch für ein freies Europa.

Bild & Copyright: Butcha,Team: Café „Джем“ Marmelade

Es ist unsere letzte Station auf der Reise. Wir trinken einen letzten Kaffee, hinterlassen eine kleine Spende und machen uns auf den langen Rückweg nach Deutschland.

Ich sehe mich noch einmal um, nehme die liebevoll gestaltete Dekoration wahr, die mehr ist als bloßer Schmuck. Sie symbolisiert Hoffnung.

Nazisymbole – egal welcher Art – habe ich in diesem Café, und überhaupt während meiner gesamten Reise, nicht gesehen.

Simon Jacob,

Augsburg, 18. April 2025

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die sich aktiv für den Frieden, für Demokratie und für die Verteidigung unserer gemeinsamen Werte einsetzen. In einer Welt, die zunehmend von Konflikten und Unsicherheiten geprägt ist, bleibt es wichtig, zusammenzuhalten, sich gegenseitig zu unterstützen und für eine bessere Zukunft zu kämpfen.

Vermerk: Ich bin als freier Journalist – der ich nebenbei immer noch bin – und als Privatperson während meines Urlaubs journalistisch für dieses mir am Herzen liegende Projekt aktiv. Dies geschieht unabhängig von meiner Anstellung bei einem deutschen Unternehmen.

Bild von Simon Jacob

Simon Jacob

Simon Jacob ist Autor des Buches Peacemaker: Mein Krieg. Mein Friede. Unsere Zukunft und engagiert sich intensiv für Friedensprozesse, interkulturellen Dialog und die Förderung von Menschenrechten.

Als Gründer und aktives Mitglied der Vereine ZOCD e.V. und Peacemaker e.V. unterstützt er gesellschaftliche Verständigung auf lokaler und internationaler Ebene. Neben seiner journalistischen Arbeit für unter anderem ZDF, ARD und ntv u.v.m. bringt er fundierte Kenntnisse und persönliche Erfahrungen aus seinen Aufenthalten im Nahen Osten, den USA und Europa ein. Seine beruflichen Wurzeln liegen im Vertrieb, der Entwicklung und der Projektkoordination im Bereich der Hochtechnologie. Diese Herkunft prägt sein Denken ebenso wie seine tiefe technische Expertise, die von digitalen Transformationsprozessen bis hin zu sicherheitsrelevanten Technologiefeldern reicht.

Bereits seit vielen Jahren ist Simon Jacob politisch beratend tätig – sowohl im formellen als auch im informellen Rahmen. Sein analytischer Ansatz, verbunden mit praktischer Erfahrung und interkultureller Kompetenz, macht ihn zu einem gefragten Gesprächspartner für politische Entscheidungsträger und Institutionen im In- und Ausland.

Als gefragter Redner und Referent spricht er regelmäßig auf Veranstaltungen und politischen Foren über Themen wie Nahostpolitik, Friedensförderung, gesellschaftlicher Wandel und technologische Zukunftsentwicklungen. Im Jahr 2020 war Simon Jacob Teilnehmer des renommierten International Visitor Leadership Program (IVLP) des US-Außenministeriums.

Dieses Programm bringt weltweit engagierte Führungspersönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen, um internationalen Dialog und gegenseitiges Verständnis zu fördern.

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