Afzal – Peacemaker aus Pakistan
2020 sollte ich für drei Wochen auf Einladung des US – Außenministeriums in die Staaten reisen, ich hatte mich für das „International Visitor Leadership Program“ – kurz IVLP – qualifiziert, um Religion, Kultur, Politik, gesellschaftliches Leben usw. besser kennenzulernen. Das Programm existiert bereits seit über 80 Jahren und so manch ein weltbekannter Politiker, Journalist, Kulturschaffender, wie zum Beispiel auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, waren Teilnehmer, sogenannte „Alumni“ (Absolventen), des Programms.
Das ist nun fast zwei Jahre her und ich stehe immer noch in regem Kontakt mit Politikern, Institutionen, Teilnehmern und Gastgebern, die ich in dieser Zeit treffen und kennenlernen durfte. Das Ziel des Programms ist es, Menschen aus allen Regionen dieser Welt, Angehörige unterschiedlichster Religionen, Ethnien und Kulturen zusammenzubringen, und so eröffnete es auch mir Möglichkeiten wunderbare und äußerst interessante Bekanntschaften zu machen. Eine unserer Stationen war das schöne San Antonio in Texas, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben ein „Live Rodeo“ bewundern durfte. Texas war eigentlich das extreme Gegenstück zu Washington D.C. Wahrscheinlich würde man heute davon sprechen, dass Washington D.C. „woke“ ist und Texas eher konservativ. Nun, ich komme aus Bayern – ein Bundesland, welches im Süden Deutschlands liegt und von den nördlichen Bundestländern ebenfalls als „konservativ“ bezeichnet wird. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Städte wie Berlin oder Hamburg dann auch als „woke“ zu betiteln wären. Doch als objektiver Teilnehmer war es meine Aufgabe zu beobachten und zu verstehen; unabhängig der rechts–links Polarisierung, die in Europa ebenfalls für hitzige und auch sehr schwierige Debatten sorgt. Und da meine geliebte Kamera, eine Canon 6D mit der ich bereits in den Kriegsregionen des Nahen Ostens Aufnahmen gemacht habe, mein ständiger Begleiter ist, musste und wollte ich natürlich die ganze Zeit fotografieren. So auch bei einem großen Zusammentreffen mehrerer IVLP – Gruppen aus unterschiedlichen Kontinenten, welches vom „San Antonio Council FOR INTERNATIONAL VISITORS“ organisiert wurde, dem an dieser Stelle für das wunderbare Event noch einmal zu danken ist.
An dem Tag, an dem so viele verschiedene Gäste der USA zusammenkamen, um gemeinsam etwas zu essen, sich auszutauschen und zu unterhalten, bemerkte ich, dass an jedem Tisch unterschiedliche Fahnen in den Halterungen steckten. Die Farben Chinas, des Irans, Russlands waren ebenso darunter wie die Farbenvielfalt anderer europäischer, afrikanischer oder auch asiatischer Länder. Bereits damals versuchte ich mir auszumalen, wie schön eine Welt wäre, wenn wir gemeinsam, als Bewohner dieser Erde, darin bestrebt wären, Frieden und Gleichheit für alle zu ermöglichen. Vielleicht klingt das gerade in Anbetracht der aktuellen geopolitischen Spannungen wie der naive Gedanke eines Menschen, der Krieg erlebt hat und nicht mehr erleben möchte. Und vielleicht ist es das auch. Doch sollten wir deswegen aufgeben? Nein… ich denke nicht. Wir sollten die Gegebenheiten auch aus dem Blickwinkel des Einzelnen betrachten. Wenn wir das tun, wenn einzelne Menschen etwas in Gang bringen, kann sich daraus ein Regenschauer ergeben, der ganze Ozeane füllt. Wir müssen es nur wollen, so wie ich es will und ein wertgeschätzter Freund es auch möchte, den ich an diesem lockeren und angenehmen Abend traf.
Afzal Majeed Butt kommt aus Pakistan, ist Medienschaffender, Journalist und bringt eine über 20-jährige Erfahrung mit, die sich in einer Lockerheit Ausdruck verschafft, die dem Mittvierziger hervorragend steht. Afzal hat seinen Bachelor in den Fächern Journalismus und Politikwissenschaften an der University in Punjab erworben. Seine Freunde nennen ihn „Load Bearing Wall“, was, wenn ich es richtig verstanden habe, so viel bedeutet, wie dass er äußerst strapazierfähig ist. Nun, in einem Land wie Pakistan, welches ich nur aus den Nachrichten im Zusammenhang mit den Taliban oder Terroranschlägen kenne, braucht man wohl ziemlich gute Nerven, um als Journalist tätig zu sein. Erst recht, wenn man beruflich für Pakistans größten Nachrichtenkanal, ARY, als Chefredakteur in der Hauptstadt mediale Verantwortung trägt. Ich machte an diesem angenehmen Abend in San Antonio von allen Gästen unzählige Fotos, die ich ihnen später zukommen ließ. So auch von Afzal und den Mitgliedern seiner Gruppe, die alle aus verschiedenen Ländern Zentral- und Südostasiens kamen. Ein Foto vom pakistanischen Journalisten gefiel mir besonders gut. Sein imposanter und äußert gepflegter Bart erinnerte mich an die Geistlichen in meiner Kirche, ich gehöre der Syr.-Orthodoxen Kirche an, und im Besonderen an einen Bischof, den ich sehr wertschätze. Jedenfalls haben Afzal und seine Kollegen Eindruck bei mir hinterlassen. Mit dem sunnitischen Muslim und einem weiteren Mitglied aus der Gruppe stehe ich immer noch in Kontakt. Rajagopal Yasiharan, der Sri Lanka seine Heimat nennt, ebenfalls Journalist und, so wie ich mitbekommen habe, Atheist ist, tauscht sich ebenfalls von Zeit zu Zeit mit mir aus. Seine Facebook Posts sind immer wieder interessant zu lesen, voller Farben, Bilder und ab und zu auch philosophischer Akzente sowie witziger Videos. Und so ergab es sich nun an dem Abend, dass sich ein Christ aus Europa mit nahöstlichen Wurzeln, ein sunnitischer Medienschaffender aus Pakistan und ein Atheist aus Sri Lanka in San Antonio, Texas/USA, über den Weg liefen, um sich besser kennenzulernen und auszutauschen. Vielleicht zeugt das von Naivität, wenn wir gemeinsam an einen universellen Frieden glauben – oder wir beginnen damit, uns den Barrieren und Vorurteilen zu stellen, indem wir die Initiative ergreifen.
Januar 2022
Afzal Weihnachtsbesuch in einer Kirche
Erläuterung - Entwicklung und Entstehung Pakistans
1. Qazi Hussain Ahmed:
Quazi Hussain war ein pakistanischer Theologe, Politiker und zugleich von 1987 bis 2009 politischer und religiöser Führer der islamischen Gemeinschaft Jamaat-e-Islami, einer islamisch-politischen Bewegung. Der Politiker setzte sich während seiner politischen Karriere intensive für den Austausch mit den Religionen ein.
2. Bischof Alexander John Malik:
Bischof Alexander John Malik war 32 Jahre lang der Bischof von Lahore und setzet sich intensiv für den religiösen Frieden zwischen den Religionen ein.
3. Qazi Abdul Qadeer Khamoosh:
Qazi Abdul Qadeer Khamosh, geboren 1960 im Distrikt Gujrat in Pakistan, ist Gründungsvorsitzender der Muslim Christian Federation International (MCFI).Oazi Abdul, vertreten durch die von ihm gegründete Organisation, fußt auf den Gemeinsamkeiten christlicher und muslimischer Gläubiger,
4. Islamische Republik Pakistan
Interview mit Afzal Majeed
Wie groß ist die religiöse Vielfalt in Pakistan?
Pakistan ist ein ethno-religiös diverses Land, ein Subkontinent, aus dessen Schoß Pakistan hervorging. Die meisten Pakistaner sind Muslime. Hindus und Christen sind zwei dort lebende Minderheiten. Hindus sammeln sich hauptsächlich in Sindh, eine Provinz von Pakistan, während Christen sich über ganz Pakistan verteilen. Viele Angehörige dieser Minderheiten haben Bekanntheit erlangt. Dem ersten pakistanischen Kabinett gehörte ein Dalit, Jogendra Nath Mandal (ein Hindu aus einer niedrigeren Kaste) an, während der vierte Oberste Richter Pakistans, Alvin Robert Cornelius, ein Christ war. Doch das vorzeitige Ableben des Urvaters Muhammad Ali Jinnah, bekannt als Quaid E Azam oder großer Anführer, und das ständige Versagen von demokratischen Mächten, führte zu ethnisch-religiöser Intoleranz, gekennzeichnet durch verschiedene Kriegsgesetze. 1971 spaltete sich eine große, dicht bevölkerte Region einer bengalischen ethnischen Mehrheit, bekannt als Ostpakistan, ab und benannte sich in Bangladesch um. Neben vielen anderen Gegebenheiten und Umständen, die zu dieser Abspaltung führten, war die Sprache die entscheidende Ursache. Der Großteil der Bevölkerung von Pakistan, die jetzt in Bangladesch lebt, hat Bengalisch gesprochen, doch der Rest von Westpakistan bestand aus verschiedenen Ethnien. Obwohl die Minderheit Urdu sprach, wurde es zur Nationalsprache ernannt, während Bengalisch nie an Bedeutung gewann, was zu starken Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen führte.
Warum wird in Pakistan zwischen Sunniten (du bist selbst Sunnit) und Wahhabiten unterschieden?
Für Europäer ist es schwierig, hier zu differenzieren.
Schiiten und Sunniten sind zwei große Glaubensrichtungen des Islams, die weiter in Unterkonfessionen aufgeteilt sind. Im Mittleren Osten, besonders dort, wo Saudi-Arabien das religiöse Leben prägt, ist Wahhabismus die größte Unterkonfession. Daher wird der Begriff „Sunniten“ für die ganze Gruppierung gebraucht. Auf dem Subkontinent bildet eine weitere Unterkonfession, Bralvi, eine Mehrheit und der Begriff „Sunniten“ wird auch für sie genutzt. Sie unterscheiden sich jedoch vom Wahhabismus. Auch wenn sie vieles gemeinsam haben, bildet z.B der Besuch von Heiligenschreinen einen Unterschied.
Der Islam ist die Hauptreligion in Pakistan. Wie funktioniert die Koexistenz mit anderen Religionen wie dem Christentum, dem Bahaitum, dem Hinduismus oder dem Buddhismus?
Wie bereits erwähnt, war der Gründervater von Pakistan, Muhammad Ali Jinnah, ein großartiger und visionärer Anführer. Er war in seinen frühen Jahren als Repräsentant der Hindu-muslimischen Einheit bekannt, doch im weiteren Verlauf der Ereignisse forderte er am Ende einen unabhängigen muslimischen Staat. Als die Abspaltung unausweichlich wurde, bot er den Sikhs am Punjab an, sich ihm anzuschließen, da die meisten ihrer religiösen Stätten nun Teil von Pakistan waren. Er nahm einen Hindu aus einer niedrigeren Kaste in Pakistans erstes Kabinett auf und war sehr tolerant anderen Minderheiten gegenüber, da er einige Jahre im Ausland studiert und gelebt hatte. Nach seinem vorzeitigen Ableben hat die politische und militärische Elite von Pakistan sein Heimatland leider immer wieder enttäuscht. Ein kurzes Beispiel: Als Z. A. Bhutto gestürzt wurde, verbot der unbeliebte Diktator Zia-ul-Haq die Politik für viele Jahre und führte später Wahlen auf parteiunabhängiger Basis durch. Diese Wahlen wurden nicht auf der Grundlage von Ideologie, sondern auf der Grundlage von ethnischer Zugehörigkeit, konfessioneller und religiöser Unterschiede ausgefochten, wodurch jeder Versuch, Beziehungen zu anderen Gemeinschaften zu knüpfen, weiter untergraben wurde. Wenn Pakistan unter einer demokratischen Regierung aufgeblüht wäre, hätte die Situation viel besser sein können.
Wenn es um religiöse Freiheit geht, haben Europäer das Beispiel der Katholikin Asia Noreen (Bibi) in negativer Erinnerung. Noreen war die erste Frau in Pakistan, die wegen Blasphemie von einem Gericht in Nankana am 8. November 2010 zum Tode verurteilt wurde. Was führt zu einem solchen Urteil und wie ist es im Zusammenhang zu verstehen?
Was bedeutet Religionsfreiheit in Pakistan? Religion ist ein Thema, das in den sozialen Medien in allen Kulturkreisen intensiv und kontrovers diskutiert wird. Welche Auswirkungen, sowohl negativ als auch positiv, haben solche Diskussionen auf die Gesellschaft?
Religionsfreiheit bedeutet in jeder Gesellschaft die Freiheit, die eigene Religion ohne Angst vor Sanktionen ausüben zu können. In dieser Hinsicht können wir feststellen, dass die meisten religiösen Minderheiten ihre religiösen Rituale in Pakistan frei ausüben dürfen. Niemandem wird das Feiern des Weihnachtsfests oder anderer religiöser Feste untersagt. Mit dem Beginn der Kämpfe in Afghanistan hat sich die Situation drastisch verändert. Doch diese Probleme sind eher sektiererischer Natur, als dass sie die Harmonie zwischen den Religionen beeinträchtigen. Wir sehen, dass die westliche Welt während des Zia-Regimes stark in die antisowjetischen Mudschaheddin investierte, ein Nebenprodukt in Form von Geld und Waffen, das gegen die religiösen Minderheiten eingesetzt wurde, was zumeist sektiererischer Natur war. In Karatschi kam es unter dem Zia-Regime auch zu den schlimmsten ethnischen Zusammenstößen, die auf der Sprache und der Herkunf beruhten. Während dieser Zeit hat Karatschi, die größte und wirtschaftlich stärkste Stadt in Pakistan, ein Blutbad zwischen der Urdu sprechenden oder Mohajir-Gemeinschaft und der Pathan-Gemeinschaft (Paschtunen) erlebt. Im gleichen Zeitraum verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten in ganz Pakistan.
Was bewirken Fakenews oder die Verbreitung von falschen Informationen, die verbal verbreitet werden, bei den jeweiligen Kulturen? Zum Beispiel erinnern sich viele im Westen an die Lynchmorde in den nahöstlichen Ländern wegen der Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen in den sozialen Medien.
Falsche Informationen, erfundene Nachrichten (oft als Fakenews bezeichnet) sind Mittel zur Propaganda, die im Laufe der Geschichte immer wieder eingesetzt wurden. Fast jede Nation hat die Propaganda-Medizin auf die eine oder andere Weise gekostet und die Erinnerungen können dabei alt oder neu sein. Das Problem hat sich in der heutigen Zeit nur verschlimmert, da sich der Strom der Informationen vervielfacht hat und soziale Medien Menschen zwar verbinden, es allerdings auch viel einfacher machen, Gerüchte innerhalb eines viel größeren Kreis zu verbreiten. Wenn man dies mit Analphabetismus und religiösem Fanatismus kombiniert, ist es viel wirksamer und gefährlicher als seine Vorgänger. In ländlichen Gebieten von Pakistan können solche Gerüchte zu gewalttätigen Ausschreitungen führen und sogar die Leben von Muslimen sind nicht sicher vor solchen Massen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Fall von Mishal Khan, einem Studenten der Abdul Wali Khan Universität in Mardan, Khyber-Pakhtunkhwa, der unter falschen Vorwürfen der Blasphemie gelyncht wurde.