Der Goldschmied und die Kirche der Erotik

Rizkullah ist Goldschmied und Goldhändler mit mehreren Werkstätten in einem Vorort Istanbuls. Er gehört der Syrisch-Katholischen Kirche in der Großmetropole an, die ungefähr zweihundert Familien in der Gemeinde zählt. Der zweite Vorsitzende der syrisch-katholischen Gemeinde in Istanbul und Mittfünfziger hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte Kirchen wieder zu neuem Leben zu erwecken.

In seiner Goldwerkstatt, in der Mitarbeiter verschiedenster Konfessionen wirken, säubert er gerade Silberschmuck aus dem 18. Jahrhundert, das für eine Kirche bestimmt ist, welche gerade neu restauriert und wiederaufgebaut wird. Mit Hilfe einer muslimischen Rechtsanwältin und langwierigen Verhandlungen hat man es geschafft, die Behörden davon zu überzeugen, die Genehmigung für einen Restaurierung zu erteilen.
 
Das Gebäude, welches historische Züge aufweist, befindet sich im südostanatolischen Mardin, einer christlich historischen Stadt und soll der syrisch-katholischen Gemeinde als neuer sakraler Ort dienen. 
 
Der Goldschmied, dessen Gesichtsauszug von Falten durchzogen und den Spuren schwieriger Verhandlungen geprägt ist, freut sich dennoch über diese in der Türkei nicht selbstverständliche Entwicklung. Mit viel Herz und privatem finanziellen Engagement ist er bei der Sache. Erstaunt über solch eine Entwicklung musste ich über die Hintergründe schmunzeln, welche die Behörden letzten Endes dazu bewegten, die Genehmigung für die Neuausrichtung der Heiligen Maria Kirche zu erteilen.
 
Das Gebäude fand bis vor kurzem noch Verwendung als Erotik-Kino. Dem Argument, dass im Umkreis von 50 Metern um Moscheen herum kein Alkohol verkauft werden darf und Erotik im allgemeinen verbannt wird, aber ein sakraler Ort des Christentums für den Genuss erotischer Freuden missbraucht wird, schien die Behörden vollends davon überzeugt zu haben, der Bitte um eine Restaurierung zu folgen.
 
Stolz erzählt mir Rizkullah von dieser neuen Entwicklung, welche ihm Hoffnung gibt für den Dialog mit den Religionen und Kulturen. War es doch eine muslimische Anwältin, welche die Behörden gerade auf diese Tatsache hingewiesen hat.
Picture of Simon Jacob

Simon Jacob

Simon Jacob (1978 in Tur Abdin, Türkei) kam als Kind nach Deutschland, wo er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte und später in verschiedenen Führungspositionen der IT- und Technologiebranche arbeitete. Seine berufliche Laufbahn umfasste u.a. Positionen im Projektmanagement und der Marktforschung mit Schwerpunkten in Automotive, Sensorik und Digitalisierung. Neben seiner Karriere engagierte sich Jacob ehrenamtlich als Integrationsbeauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche und war Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland. 2015 initiierte er die „Peacemaker-Tour“, ein journalistisches Projekt, bei dem er Krisenregionen im Nahen Osten bereiste, um den interkulturellen Dialog zu fördern und auf die Lage religiöser Minderheiten aufmerksam zu machen. Seine Erfahrungen und Einsichten, vor allem zu Demokratie und Menschenrechten, teilt er in Artikeln, Vorträgen und seinem bald erscheinenden Buch.
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