Die Quadratur des Kreises im Nahen Osten – Syrien, Irak, Türkei

Die Quadratur des Kreises ist ein Paradoxon. Mathematisch ist hierbei eine Annäherung zu erreichen, aber niemals Perfektion.
  
Die westliche Welt glaubt daran, dass Konsumfreudigkeit und damit einhergehender Wohlstand, die Menschenrechte, so wie wir sie kennen, stärkt und Jahrtausende alte Traditionen und Werte, aber auch Konflikte, aus ihrem Gefüge reißen kann.
Im Nahen Osten, besonders in der jetzigen Krisenregion Syrien, zeigt sich wieder einmal, dass der Westen die Entwicklungen und Situationen falsch eingeschätzt hatte, weil sich dieser mit Beginn der Reformationen seit mehreren hundert Jahren von der Idee gelöst hat, dass der Herrscher über allem steht und nicht der Mensch. Der Herrscher repräsentiert im Nahen Osten die einzig legitime Macht, so wie man sie in der Definition der hammurabischen Texte bis heute kennt. Die Definition der Völker und Nationen im Nahen Osten spiegelt keine künstlichen Grenzen wider, gemäß der westlichen Idee der Staatenbildung. Die Grenzen entstehen zunächst einmal durch die starke Hand eines Herrschers, der nach dem vertikalen Herrschaftsprinzip, wie es in einer Clanstruktur üblich ist, Druck auf die Unbeugsamen ausübt, um den Beugsamen Frieden und Sicherheit zu garantieren. Gewiss, kein Frieden und keine Sicherheit wie man es in der westlichen Hemisphäre erwarten würde. Aber immerhin ein Zusammenleben, welches es verschiedenen Kulturen und Religionen ermöglicht, nebeneinander zu existieren.
 
Der deutsche Außenminister hatte vorletztes Jahr behauptet, dass der jetzige Herrscher in Syrien, Bashar al Assad, in drei Monaten nicht mehr an der Macht wäre. Diese Aussage ist jetzt weit über ein Jahr her. Assad ist immer noch an der Macht.
 
Hätte der Außenminister die jahrtausendealte Kultur in diesen Regionen verstanden, die immer noch nicht zwischen dem Jenseits und dem Diesseits trennt, so wäre ihm dieser Fehler nicht passiert. Er wäre ihm auch nicht passiert, wenn er sich einfach in der syrischen Bevölkerung umgesehen und nach deren Empfinden gefragt hätte. Nicht, dass die Bevölkerung die Meinung der herrschenden Klasse in allen Belangen teilt. Doch den unbefriedeten und dreigeteilten Irak vor Augen, inklusive der grausamen Konflikte mit den vielen Toten, sind die syrischen Staatsbürger nachdenklich, wenn es um das „Danach“ geht.
 
Selbstverständlich spielen bei diesem Konflikt auch materielle Gegebenheiten eine Rolle, wie zum Beispiel die Energieversorgung Europas. Aber auch immer mehr konfessionelle Konflikte, die alte Rechnungen wieder zu Tage tragen.
 
Ich möchte dies mit den Worten eines islamistischen Rebellen wiedergeben, den ich in der Nähe der syrischen Grenze traf.
 
„Die Christen in den Libanon, die Alawiten an die Mauer“.
 
Für einen Gotteskrieger sind übrigens alle, die nicht einer orthodoxen Doktrin folgen, Ungläubige oder Kuffars, die hingerichtet werden müssen.
 
Türkei:
 
Die Türkei als multiethnischer Staat, bis Ankara säkular geprägt, in Anatolien mit Clanstrukturen durchzogen, kämpft aktuell mit einer massiven inneren Zerrissenheit. Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung scheint, trotz ihres sunnitischen Glaubens, gegen einen Konflikt mit dem alawitisch beherrschten Nachbarn zu sein. Solange die Hoheit über die Wasserechte in der Türkei bleiben. Hierbei ist auch nicht zu verleugnen, dass die Sunna sufistischer Prägung, auch vertreten durch die Fatullah Gülen Bewegung, dem sunnitischen Islam saudischer Prägung eher abgeneigt ist. Hinzu kommen die kritisch beäugten Sichtweisen der Aleviten im südöstlichen Raum, der alawitischen Schiiten an der Grenze des Libanons, mit Antakya/Hattay als heimliche Hauptstadt, und der kurdischen Bevölkerung, die seit 100 Jahren Berufsrevolutionäre sind. Bei den Kurden gewinnt die sozialistische Prägung die Oberhand und hat die religiöse Verbundenheit eher zurückgedrängt. Eine Beobachtung die man in der Türkei, im Irak oder auch in Syrien feststellen kann. Die Christen, neben den Jeziden als eher kleine Minderheit zu betrachten, werden sich in der Zukunft aufgrund des Krieges in Syrien mit einer massiven Flüchtlingswelle konfrontiert sehen, die bereits jetzt die Aufnahmekapazitäten der Klöster und Kirchen im Tur Abdin sprengt.
 
Der Irak, mit seinen drei Regierungen, im Norden kurdisch geprägt, in der Mitte mit Mosul sunnitisch und im Süden schiitisch, ist auch kein Garant des Friedens. Bagdad bildet gemeinsam mit dem Iran und der Hisbollah im Libanon, dazwischen das noch schiitische Syrien, einen Halbmond, den die wahabitsch – orthodoxen Hardliner gerne zerstören würden.
 
Im Norden Syriens haben die kurdischen Stämme de facto Autonomie erlangt und werden durch die PYD, einen Ableger der PKK, von Nordkurdistan aus unterstützt und koordiniert. Der Spruch eines jungen Peshmerga geht mir hierbei nicht mehr aus dem Kopf, der mit der Aufzählung der Länder Iran, Irak, Syrien und Türkei die Siedlungsgebiete aufzählte und in einen Zusammenhang mit dem zukünftigen Gebilde „Großkurdistan“ brachte.
 
Und dazwischen, neben anderen bedrohten Minderheiten, die Christen mit ihren verschiedenen Strömungen. So sehr sie sich unter einander nicht einig sind, so sehr müssen sie als schwache Gruppe und Rückhalt auf die Stärke eines gerechten Herrschers bauen, um überleben zu können.
 
Ein Dschihadist macht übrigens keinen Unterschied zwischen den Strömungen des Christentums. In allen Fällen kann es zur Zwangskonvertierung kommen oder zu einer grausamen Hinrichtung, die darin mündet, dass die perverse Szene bei der jeweiligen Gemeinde als Video landet. Eine perfide Marketingmethode, die bereits die Christen im Irak dazu veranlasst hat, den Exodus anzutreten. Dass aus dem saudischen Raum z.B. angereiste Fanatiker, die sich in sunnitischen Flüchtlingscamps in Hattay verstecken um sich nachts in Syrien dem Dschihad zu widmen, aus ihren Ansichten keinen Hehl machen, konnte ich persönlich vor Ort feststellen. Auch die Sichtweise, dass es sich bei den Urchristen um die fünfte Kolonie des Westens handelt, konnte leider durch völkerrechtswidrige Invasion in den Irak nicht zerstreut werden.
 
Die christliche Urbevölkerung im Nahen Osten schrumpft. Vor Jahrzenten gab es Massaker in der Türkei, dann im Irak und jetzt droht den syrischen Christen ein ähnliches Schicksal. Doch gibt es auch Stimmen die mahnen, dass ein Exodus der Christen verheerende Folgen haben kann. Wenn die Brückenbauer das Land verlassen, wer baut dann den im Nahen Osten so lebenswichtigen Dialog auf? Wer hütet die Urstätten des Christentums? Wissen und Frieden gehen verloren. Was aber noch wichtiger ist, damit einhergehend ein Stück Geschichte, Kultur und die Wurzeln des Christentums, die die gesamte westliche Welt doch etwas angehen. Neben der Energieversorgung und einer notwendigen Stabilität in dieser Region, zum Schutze anderer angrenzender Staaten, nicht zuletzt Israel, sollte auch das Erbe des Christentums, welches in der westlichen Welt innerhalb der verschiedenen Konfessionen weiterlebt, berechtigten Schutz erfahren.
 
Der Zentralrat Orientalischer Christen, dessen Grundzüge vor drei Jahren bei der Konrad Adenauer Stiftung, in Zusammenarbeit mit den Bischöfen, die ersten Formen annahm, widmet sich genau diesem Ziel: Es soll ermöglicht werden, die Lebensader einer Religion zu erhalten, welche die ganze Welt geprägt hat.
 
Wir Christen aus dem Orient sind schon lange Teil der europäischen Gesellschaft. Wir sind Teil eines europäischen Gemeinwesens. Aber ein Stück von uns ist auch für immer in den Ursprungsregionen unserer Religion beheimatet, die gleichzeitig unser kulturelles Erbe bildet.
 
Deswegen sehen wir es als unsere Pflicht an, gemeinsam mit anderen Mitmenschen, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit, den Dialog zu suchen.
 
Dialog führt zu Verständnis, dem Beseitigen von Missverständnissen, und damit einhergehend zu Frieden. Aber nur, wenn der Dialog ehrlich gemeint ist.
 
Die Behauptung, dass Herr Assad in drei Monaten nicht mehr an der Macht ist, ist der Wille, einen Monolog führen zu wollen. Herr Westerwelle hätte auch die Christen in der Opposition fragen können, die gleichzeitig gegen die Regierung und die Dschihadisten in der tief gespaltenen Opposition ankämpfen und in manchen Fällen deutsche Staatsbürger sind.
 
Der arabische Frühling wurde von jungen Menschen getragen, Muslime und Christen, die die Freiheiten suchten. Verloren haben sie diese an die, die die Freiheit hassen.
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Simon Jacob

Simon Jacob (1978 in Tur Abdin, Türkei) kam als Kind nach Deutschland, wo er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte und später in verschiedenen Führungspositionen der IT- und Technologiebranche arbeitete. Seine berufliche Laufbahn umfasste u.a. Positionen im Projektmanagement und der Marktforschung mit Schwerpunkten in Automotive, Sensorik und Digitalisierung. Neben seiner Karriere engagierte sich Jacob ehrenamtlich als Integrationsbeauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche und war Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland. 2015 initiierte er die „Peacemaker-Tour“, ein journalistisches Projekt, bei dem er Krisenregionen im Nahen Osten bereiste, um den interkulturellen Dialog zu fördern und auf die Lage religiöser Minderheiten aufmerksam zu machen. Seine Erfahrungen und Einsichten, vor allem zu Demokratie und Menschenrechten, teilt er in Artikeln, Vorträgen und seinem bald erscheinenden Buch.
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