Dr. Michael Blume – Antisemitismusbeauftragter PLUS

2012 befand ich mich in Antakya (türkische Provinz Hatay) und machte einen Abstecher zur kleinen und einzig verbliebenen jüdischen Gemeinde in dieser historischen Stadt, die schon immer ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen war. Gerade der alawitische Islam mit seiner eigenen Mystik und ausgesprochen weitläufigen Toleranz, eher spirituell als weltlich angehaucht, verträgt sich prächtig mit allen anderen Religionen. Diese Offenheit merkt man, oder besser gesagt merkte man, auch den Bewohnern der Stadt an. Doch bereits 2012 sickerten Extremisten in die Region ein, die die lokale Bevölkerung terrorisierten und Alawiten z.B. aufforderten, während der Fastenzeit Restaurants zu schließen, zu fasten, generell keinen Alkohol auszuschenken usw. Zum Glück entstand ein Bündnis aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft, die sich vehement gegen die Extremisten stellten, die im benachbarten Syrien, bei offenen Grenzen, in den Heiligen Krieg zogen.

2015 war ich wieder in Antakya und besuchte abermals die jüdische Gemeinde. Bei einem ausgiebigen Gespräch mit dem anwesenden Rabbiner musste ich feststellen, dass sich die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder immens verringert hatte. Auf meine doch recht hartnäckigen Fragen, wo denn all die jüdischen Mitbürger geblieben wären, bekam ich zu hören, dass die meisten aus wirtschaftlichen Gründen nach Istanbul oder ins Ausland ausgewandert wären.

Nun, ich kannte die Situation vor Ort und in anderen Regionen des Nahen Ostens und mir war bewusst, dass es sich lediglich um eine diplomatische Aussage handelte, die keineswegs den wahren Grund benannte: nämlich die Tatsache, dass der Hass auf Juden und alles Jüdische, befeuert durch äußert skurrile Verschwörungstheorien, die zuhauf in den sozialen Medien eine Fangemeinde haben, massiv zugenommen hatte. Und dies nicht nur in der Türkei, sondern im gesamten Nahen Osten. Die Gründe dafür sind recht vielfältig und immer resultieren diese darin einen Schuldigen zu finden, um von den eigenen Fehlern abzulenken. Dass der Islam selber, in vielen Ausführungen und an den Schulen gelehrt, zu Antisemitismus führt, möchten viele nicht wahrhaben. Doch entspricht dies leider der Realität. Dass Korruption, Vetternwirtschaft, technologische Rückständigkeit usw. auch mit dem eigenen politischen oder gesellschaftlichen System zu tun haben, traut sich kaum einer zu sagen. Also sucht man sich einen Schuldigen. Dass extremistische Gruppierungen wie der IS ihre Sichtweisen aus einer Leseart des Korans speisen, ist für viele schlicht und einfach nicht zu akzeptieren. Da ist es leichter den anzuklagen, der bereits seit Jahrtausenden immer wieder als Sündenbock dient und nun wieder für die Vergehen derer, die oftmals ihre eigenen Bürger in den Kerker sperren wenn diese Kritik an der repressiven Politik äußern, als solcher herhalten muss.

Und von einer weiteren naiven Einstellung sollten wir uns nun endlich verabschieden. Nämlich dem Irrglauben, dass Antisemitismus ein rein mitteleuropäisches Phänomen sei. Auch in meiner Funktion als Vorsitzender des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland warnte ich immer wieder davor, dass mit den Flüchtlingsströmen ein massiver Judenhass nach Deutschland und Europa einströmen wird, gepaart mit einer Abneigung gegen die westliche Lebensart und in Form des orthodoxen Patriachats, vor dem auch Christen nicht gewappnet sind. Aber nicht nur das. Beflügelt durch die grenzenlosen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, in Verbindung mit unendlichen Verschwörungstheorien, die bei genauerem Hinsehen haltlos sind, wird gerade bei jungen Deutschen mit nahöstlichem Hintergrund der Hass geschürt. So durfte ich mir vor einigen Wochen, als ich zu antisemitischem Verhalten in Deutschland Stellung bezog, von einem jungen Mann mit nahöstlichen Wuzeln über die sozialen Medien anhören, dass ich als „Orientalischer Christ“ automatisch gegen Juden und Israel sein müsste. Natürlich ist das gerade in einer Demokratie, mit dem Recht seine Meinung frei äußern können, absurd.

An all diesen Punkten knüpfte Dr. Michael Blume in den ehrwürdigen Hallen der Alten Universität in Heidelberg an, als er vor zahlreichen Gästen über das Thema Antisemitismus referierte. Und zurecht untermauerte Blume, dass Antisemitismus, egal ob nun rechts, links oder religiös gefärbt, der Anfang einer Bewegung ist, die auch Islamophobie, Christianophobie, Hass auf Homosexuelle, Freidenker und alle Liberale, zu Tage bringt. Religiöser und nationaler Faschismus geben sich hier gegenseitig die Klinke in die Hand.

Deswegen ist es mehr als richtig, dass das Land Baden – Württemberg nun einen Antisemitismusbeauftragten hat, der mehr ist, als es der Titel auszusagen vermag. Eben ein Beauftragter mit PLUS – Auftrag. Denn Antisemitismus ist nur die Spitze einer Bewegung, die sich gegen jene freiheitlichen Werte richtet, die Europa ausmachen. Und es ist, gelinde gesagt, fünf vor zwölf.

Der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland wird Dr. Blume mit den verfügbaren Mitteln in seiner Arbeit unterstützen, weil es unser aller Aufgabe ist, radikalem Gedankengut entgegenzutreten.

In Anbetracht der wichtigen Aufgabe die vor uns steht, möchte ich auch dem jungen Mann jüdischen Glaubens und mit einer Kippa auf dem Kopf danken, der mit mir gemeinsam die abgesicherten Räumlichkeiten der jüdischen Gemeinde, in dem es noch ein Buffet gab, verließ und mir sagte:

„Danke, dass Sie sich für uns einsetzen. Wir sind nur ein paar 100, aber das macht Hoffnung und Mut.“

Das Gefühl ließ mich nicht los, dass der junge Mann, trotz der Tatsache dass er nur in einem gut abgesicherten Gebäude ein Mahl zu sich nehmen kann, in diesem Moment mehr Freude und Zuversicht empfand als ich.

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Buchtipp:

Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.

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Simon Jacob

Simon Jacob (1978 in Tur Abdin, Türkei) kam als Kind nach Deutschland, wo er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte und später in verschiedenen Führungspositionen der IT- und Technologiebranche arbeitete. Seine berufliche Laufbahn umfasste u.a. Positionen im Projektmanagement und der Marktforschung mit Schwerpunkten in Automotive, Sensorik und Digitalisierung. Neben seiner Karriere engagierte sich Jacob ehrenamtlich als Integrationsbeauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche und war Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland. 2015 initiierte er die „Peacemaker-Tour“, ein journalistisches Projekt, bei dem er Krisenregionen im Nahen Osten bereiste, um den interkulturellen Dialog zu fördern und auf die Lage religiöser Minderheiten aufmerksam zu machen. Seine Erfahrungen und Einsichten, vor allem zu Demokratie und Menschenrechten, teilt er in Artikeln, Vorträgen und seinem bald erscheinenden Buch.
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